„Lieber Gott: Es reicht!“

Mehr als ein frommer Wunsch: Seelsorge ist gerade dann da, wenn Menschen und Medizin an ihre Grenzen kommen.
Eine Spurensuche zwischen Leben, Tod und Gottvertrauen.

Wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? Wie vereinen sich die Möglichkeiten der Spitzenmedizin mit dem Respekt vor dem Lebensende? Fragestellungen, zu denen es wohl keine Antworten gibt – aber eine Haltung.

„Lieber Gott, du hast mir ein langes Leben geschenkt. Nun ist es aber auch mal gut.“ Über 90 Jahre alt ist Elfriede – und am Ende ihres Lebens. Sie spürt es. Die körperlichen Kräfte haben schon vor Jahren stark nachgelassen.

Und das, obwohl sie immer eine starke Frau war: Vor vielen Jahren hat sie ihren Mann verloren, die Kinder von Elfriede blicken selbst schon auf ein langes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen; die Enkelkinder besuchen die Oma regelmäßig, leben aber doch auch in einer so ganz anderen Welt als sie selbst.

Elfriede glaubt meistens an Gott – glaubt an die Hoffnung und den Beistand. Entsprechend hat sie schon vor einigen Jahren eine Patientenverfügung verfasst. Mit ihrer Familie hat sie besprochen, ab wann „der liebe Gott“ entscheiden soll und nicht die Mediziner. Es waren schwere Gespräche über künstliche Ernährung, über Blutwäschen in den letzten zu erwartenden Tagen, die Frage nach Schmerzmitteln und damit die Frage nach der Verabschiedung von ihrer Familie.

Hier im Krankenhaus hat ihr Sohn mit den Ärzten gesprochen: Es bestünden verschiedene Optionen, das Leben zu verlängern. „Wir reden aber nur von Stunden, vielleicht Tagen. Im Sinne der Verfügung Ihrer Mutter sollten wir anerkennen, dass ihr Weg wohl hier zu Ende sein wird“, so die Internistin.

Heute, wo sie fühlt, dass sie nicht mehr lange leben wird, freut sie sich über jeden Besuch der Familie. Aber die meist kurzen Gespräche sind auch anstrengend. Sie sieht in den Augen die Sorgen ihres Sohnes, der Enkelkinder. In diesen Momenten verkehren sich die Rollen: Elfriede spendet ihnen Trost. Aber dann, in den Momenten des Alleinseins, hat sie doch Angst. Die Zeile „… im Angesicht unseres Todes“ will ihr nicht aus dem Kopf gehen. Elfriede hat die Schwester gefragt, ob noch einmal der Seelsorger kommen könne. „Natürlich.“

Krankenseelsorger Thomas Jarck


Der ökumenische Gedenkgottesdienst bietet einen
Ort der Trauer, des Erinnerns, des Innehaltens.


„… dein Reich komme, dein Wille geschehe …“ – die Zeile aus dem „Vaterunser“ erfüllt vielstimmig die achteckige Kapelle im Prosper-Hospital. Die Bänke sind gut gefüllt – mehr als zu anderen Gottesdiensten. Zum Gedenkgottesdienst für die Verstorbenen laden der katholische und evangelische Seelsorger die Angehörigen ein.

Mit dabei: die Familie von Elfriede. Vor gut acht Wochen ist die Mutter, Großmutter und Ur-Großmutter verstorben. Die Gemeinschaft in diesem Raum tut der Familie gut: Der ökumenische Gedenkgottesdienst bietet den Angehörigen einen Ort der Trauer, des Erinnerns, des Innehaltens. Anders als bei der individuellen Trauerfeier für Elfriede liegt hier kein Druck auf der Familie. Alle im Raum verbindet eins: der Tod eines nahen Angehörigen. Es wird an die rund 90 Verstorbenen aus dem letzten Vierteljahr gedacht. Als der Name von Elfriede vorgelesen wird und der Sohn eine Kerze zum Altar bringt, rollen Tränen über seine Wangen. Und die respektvolle Stille im Raum umhüllt ihn und die anderen Trauernden. Der ein oder andere spürt es:

In diesem Moment ist er da – der tröstende Gott.